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Lieber
Schutzengel!
Ich
bin jetzt seit drei Tagen in Kalkutta. Es ist der reinste Alptraum,
das stimmt, doch Lärm und Luftverschmutzung bergen auch einen
gewissen Zauber in sich. Es gibt so viel Interessantes zu sehen,
und die meisten Menschen sind ausgesprochen freundlich. Heute
Morgen erwachte ich beispielsweise aus einem unruhigen Schlaf
und hörte vor meinem Fenster Sufis singen. Sie begleiteten
ihren schaurig-schönen Gesang mit Gesten und Mimik, was mich
geradezu in einen zeitweiligen, köstlichen Trancezustand
versetzte. |
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Ich
esse alle meine Mahlzeiten einfach auf der Straße. Das Essen
ist wahnsinnig billig. Was gibt es zum Frühstück? Toastbrot
mit Butter und Zucker, Erdnüsse, Mangos und Bananen, dazu
Omelette mit Zwiebelwürfeln. Und zum Mittagessen? Spießchen
mit Brötchen, gebratene Nudeln und dampfenden weißen
Reis, dann Bengali-Süßigkeiten zum Nachtisch. Braune
Zuckerknödel in Honigsirup
sogenannten LADY CANDY.
Alles wird mit süßem Milchtee, Kokos- oder Zuckerrohrsaft
hinuntergespült und kostet nur ein paar Pfennige
Oh,
wie es auf den Bürgersteigen von Menschen wimmelt. Meine
Kamera macht ständig klick, klick, klick. Bei Sekretären,
Barbieren und Schuhputzerjungen blüht das Geschäft.
Die halbe Stadt scheint der anderen Hälfte ständig etwas
zu verkaufen und abzukaufen. So geht es immer weiter
Alle
Menschen müssen hier für sich selbst sorgen. Die Regierung
scheint ganz nutzlos zu sein. Wer sich kein Fahrrad leisten kann,
wird hier ein menschliches Zugtier. Es ist überaus farbenfroh,
faszinierend, schrecklich und schockierend zugleich. Ich bin im
Planetarium gewesen, aber das war eine rechte Enttäuschung.
Ich konnte in dem rauschenden Lautsprecher kaum die Stimme des
Erzählers ausmachen. Es war scheußlich, aber auch eine
willkommene Abwechslung von dem überall herrschenden Smog.
Der ist so dick, man glaubt es kaum. Nein, man hat direkt Angst
davor. Man sieht kaum die Hand vor den Augen, und er reizt Augen
und Hals, bis man wirklich KOPFWEH hat. |
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Auch
der Verkehr ist außerordentlich dicht. Die Polizei versucht
nach Kräften, in dem Chaos Herr der Lage zu bleiben, doch
tut jeder, was er will. Ganz bestimmt gibt es eine versteckte
Ordnung darin, es kann einfach nicht anders sein. Doch habe ich
sie noch nicht entdeckt. Hier kommt nie Langeweile auf. Auf den
ersten Blick scheint das Überleben auf die Dauer kaum möglich
zu sein, doch irgendwie verhindert eine gütige Macht den
totalen Zusammenbruch in den Hexenkessel der "weißen
Hektik". Die Inder mögen die "weiße Lösung".
Lenin, Königin Victoria, Ramakrishna leben in bester Nachbarschaft
miteinander. ALLE SIND EINS. Ja, mit Form und Formlosem nahm das
Unendliche Gestalt an. Die Heiligen verstehen das ganz genau.
Sie sehen uns wohlwollend zu und steuern uns lachend und souverän
durch diese Dualität hindurch. Ich mag weder Menschenmengen
noch die Hüter dieser Bereiche. Ihre stummen Münder
sagen mir, dass Willenskraft alles schafft, und die gebrochenen
Zungen teilen mir mit, dass Willenskraft nichts anderes ist als
eine Verbindung von hellen und dunklen Energiestrahlen. UND NUN
DIES: Man fusioniere diese Strahlen, um einen Laserstrahl zu erzeugen.
(Wer der Vergangenheit nachtrauert oder sich um die Zukunft sorgt,
schwächt den Laserstrahl.) Konzentration auf die Gegenwart
ist wichtig. Es zählen einzig Selbstbeherrschung und Glauben.
Es macht wirklich viel Eindruck: dunkles Leben, von Lichtfäden
durchwoben. |
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Das ist ein beängstigender Zug dieser Stadt. Monastische
Typen sind nicht willkommen. Arahats können nach Hause
gehen! Sogar die Bodhisattvahs sind nicht gerne gesehen. Der
Messias ist auch nicht erwünscht. Nein, nein, in Kalkutta
wird nach ganz anderen Regeln gespielt. Wer trägt hier
die einsame Krone? Die großen Meister. Die MAHASIDDAHS,
die Lotsen der Apokalypse. Sie sehen zwar aus wie Rebellen ohne
Leidenschaft, aber in Wirklichkeit sind es echte, lebendige
Buddhas. Es sind die HOCHSTRESS-Meister von STRESSLOSIGKEIT.
Sie ballen die Hektik und verwandeln sie in glühende Lichtkugeln.
Diese Maha-Verrückten haben das Geheimnis entdeckt, mit
normalsterblichen Körpern innerhalb der gewöhnlichen
Gesellschaft und innerhalb des alten Universums als perfekte
Buddhas einer subtilen Dimension zu leben. Es können sowohl
Männer als Frauen sein. Es können große Gelehrte
und Schriftsteller sein, doch oft sehen sie ziemlich gewöhnlich
aus. Es können und Könige und Prinzessinnen sein,
oder Händler und Bauern. Sogar Penner! Dieser Flug ist
kein gewöhnlicher. Er ist ganz UNMITTELBAR. Habe ich dir
gesagt, dass ich meine Stiefmutter im amerikanischen Konsulat
erreicht habe? Es ist mir wirklich gelungen. Sie sagte, sie
würde mir Geld schicken. Ich konnte endlich ein R-Gespräch
anmelden. Sie sagte, sie hätte keines meiner Telegramme
bekommen. Und sie könnte mir auch nicht viel schicken.
Nur genug, um nach Nepal zu fahren. Sie sagte, ich sollte sie
von dort anrufen. Ehrlich gesagt traue ich ihr nicht ganz. In
diesen schwierigen Tagen wirbeln meine Gedanken ganz durcheinander.
Es ist so schrecklich schwierig. Dieses Jahr scheint wirklich
mächtige Energieströme freizusetzen.
Deine
Wilde Entschlossenheit.
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